Boger

Einführung in

C.M. Boger's "General Analysis"

Norbert Winter





Die Abstammung C.M. Boger‘s läßt sich bis ca. 1580 in Schwaigern (Württemberg/ Deutschland) zurückverfolgen (s. Literatur-Anhang). Während ein Teil der Schwaigerner Boger Linie in Deutschland blieb, wanderte ein anderer Teil 1732 nach Philadelphia aus. Dort gingen in der 6. Generation der Boger Linie aus der Ehe von Cyrus Boger und Isabella Kellan Maxwell 6 Kinder hervor, darunter Cyrus Maxwell Boger.

Boger

C.M. Boger wurde am 13. Mai 1861 in Pennsylvania geboren. Nach dem Studium der Homöopathie im Hahnemann Medical College in Philadelphia ließ er sich in Parkersburg (West Virginia) nieder. Seine Deutschkenntnisse ermöglichten es ihm, sich in die Originalquellen der Bönninghausen-Literatur einzuar- beiten und dessen Denkweise zu verstehen und weiterzuentwickeln. Er übersetzte und erweiterte die Bönninghausen‘schen Veröffentlichungen und verfeinerte mit immer größerer Präzision und Knappheit seine Ideen zum Genius des Falles und der Arznei


Cyrus Maxwell Boger

1861       Geburt am 13. Mai in Pennsylvania

               Studium der Pharmazie und Medizin

1862       Abschluß in Pharmazie

1888       Abschluß in Medizin
               Praxis in Parkersburg

1899      "A systematic alphahetical
               repertory of hom. remedies‘

1904       Vorsitz der „Intern. Hahnemann Association“

1905       "Bönninghausen‘s Characteristics
               and Repertory“ BBCR- 1

1915       „Synoptic Key“ (SK-1)

1924/5    „General Analysis“ (GA-1)

?             Ein Brand vernichtet wichtige Dokumente

1931       4. Auflage des SK (SK-4)
               4. Autlage des GA (GA-4)
               Herausgabe des Kartenrepertoriums
               in Anlehnung an GA-4

1933       Neu-Bearbeitung des BBCR und des
- 35         inzwischen herausgegebenen GA-5

1935       Tod am 2.9. durch Lebensmittelvergiftung




Während seiner gesamten Praxiszeit erarbeitete und vervollständigte Boger ein umfangreiches Repertorium, das alle Bönninghausen´schen Angaben zusammenfaßte und dessen „Therapeutisches Taschenbuch“ um Detail-Symptome anreicherte. Dieses „Boger-Bönninghausen‘sche Characteristics and Repertory“ (BBCR) stellt seine Fähigkeit zur detailgetreuen Beobachtung heraus. Andererseits führte seine Reduzierung auf das Allernötigste 1915 zur Veröffentlichung des „Synoptic Key“, in dem ein äußerst knappes und präzises Repertorium mit einer ebensolchen Materia Medica verknüpft ist. Als Essenz dieser starken Reduzierung der Arzneiwirkung auf das Allerwesentlichste erschien 1926 das Mini-Repertorium „General Analysis“, das er später (1931) als Kartenrepertorium herausbrachte und das er bis zu seinem Lebensende verbesserte. C.M. Boger war drei Mal verheiratet und hatte 10 Kinder. Er starb am 2.9.1935 an den Folgen einer Lebensmittelvergiftung.


Geschichte des General Analysis

Nach nahezu zehn Jahren Erfahrung mit der Erstauflage des „Synoptic Key“ extrahierte Boger viele der für ihn herausragenden Allgemeinrubriken des Synoptic Key und faßte sie 1924/5 in der kleinen Broschüre „General Analysis“ zusammen, In den darauffolgenden Jahren feilte er diese Broschüre immer weiter aus, so daß er 1931 (gleichzeitig zur 4. Auflage des „Synoptic Key“) die 4. Auflage des „General Analysis“ herausbringen konnte und nun den nächsten Schritt, die Umsetzung der Rubriken in ein Kartenrepertorium folgen ließ. Dieses „Card Index Repertory“ wurde im Folgenden Schritt für Schritt durch Ergänzungskarten und Korrekturen verbessert (Ro31), was an der Kartennumerierung (z.B. Card No. 249-1 zwischen Card No. 249 und No. 250) nachvollzogen werden kann. Diese Korrekturen schlugen sich in der 5. Auflage der GA-Broschüre (GA-5) nieder.

Als nach Boger‘s Tod 1939 die 6. indische Auflage der GA-Broschüre und des „Card Index Repertory“ erschien, ließ der Vermerk „revised edition“ zunächst keine Rückschlüsse über die Quellenlage der indischen Ergänzungen zu. Der im Vorwort hierzu abgedruckte Brief von Boger‘s Witwe weist darauf hin, daß sie die korrigierten Karten ihres Mannes und die GA-Broschüre mit großer Freude dem Verlag überlassen hat. Die Analyse der nachgetragenen Kartennummern bestätigen diese Vorgehensweise und lassen die 6. und analoge 7. indische Ausgabe (GA-6 und -7) als authentisch erscheinen. Deshalb wurde die GA-7 als Grundlage für diese Neuausgabe herangezogen.

Der indischen Version der GA-6 bzw. -7-Broschüre wurde ein Vorwort von L.D. Dhawale vorangestellt, das äußerst kenntnisreich den Umgang mit diesem Repertorium vermittelt.

Die originalen GA-Broschüren und Karten sind seit langer Zeit vergriffen. Frühere Auflagen des GA konnten von Klaus Holzapfel ausfindig gemacht werden (einsehbar in der Bibliothek der P.Schmidt-Foundation, St. Gallen) und wurden für die Analyse der zeitlichen Entwicklung des GA herangezogen.

Obwohl die GA-7-Ausgabe im Original vorliegt, können - druckbedingt - einige Wertigkeiten in der Broschüre nicht exakt identifiziert werden. Somit ist die Aussage der Wertigkeiten auch in diesem Neudruck in manchen Fällen nicht exakt verläßlich (in Zweifelsfällen wurde auf die Wertigkeiten des „Synoptic Key“ zurückgegriffen). Bei der Anwendung als Lochkartei jedoch verlieren die Wertigkeiten ohnehin ihre Bedeutung. Ein noch existierendes Kartenrepertorium ist im Besitz von G. v. Keller- (Tübingen), der dankenswerter Weise einen Einblick ermöglichte


und das somit bzgl. seiner Kongruenz zur GA-Broschüre abgeglichen werden konnte.

Die Karteninhalte und die GA-Broschüren-Inhalte sind mittlerweile auch im Internet einsehbar unter:

http://homeoint.org/seror/boggaic/index.htm
http://baltimore.homeopathyhome.com/cgi-bin/boger.cgi



Auflagen des General Analysis


GA Broschüre                                Card Index Repertory
__________________________________________

1. Aufl. 1924/5 (GA-1)

2. Aufl. 1925 (GA-2)

3. Aufl. 1926 (GA-3)

4. Auflage 193 1/2 (GA-4)

Hieraus entstand das          ->    Kartenrepertorium

                                                       Ergänzungen und
                                                       Korrekturen folgten
                                                       und wurden später

5. Auflage 1933-5 ??            <-
   in die 5. und
(GA-5)
                                                       (nach Boger‘s Tod.)
6. ind. Auflage 1939            <-
   in die 6. GA-Auflage
(GA-6) (revised)                          integriert.
von Roy & Company
Vorwort von L. D. Dhawale

7. ind. Auflage 1959
(GA-7) analog GA-5





Da Boger bis zu seinem Lebensende das GA-5 und das BBCR optimierte, ist davon auszugehen, daß er bewußt das GA so knapp wie möglich gehalten hatte. Gleichlautende Rubriken im BBCR und im GA (und teilweise auch im SK) fuhren mitunter auch andere Arzneien auf und nicht jeder hochwertige BBCR-Eintrag ist im GA zu finden. Eine Übertragung von BBCR-oder SK-Rubriken in das GA wäre jedoch sicherlich nicht im Sinne Boger‘s. GA-Rubriken dürfen nur unter wesentlich strikteren Bedingungen herangezogen werden als BBCR-Rubriken. Deshalb wird in der Kartenausgabe die Original-Ausgabe Boger‘s unverändert beibehalten und von Nachträgen (z.B. auch denen P. Sankarans) abgesehen.

Veröffentlichungen zum General Analysis

Der erste Schritt zum Verständnis des GA muß natürlich in der Betrachtung von Boger‘s Vorwort hierzu liegen. Die ersten drei Auflagen beinhalten jedoch kein Vorwort Boger‘s (außer einem knappen Hinweis darauf, daß die Rubriken teils aus der Literatur, teils aus der Praxis heraus hinzugefügt wurden). Die vierte Auflage (GA-4) liegt nicht vor und somit kann erst das Vorwort zur 5. Auflage betrachtet werden, das im indischen Nachdruck beibehalten wurde. Leider wurde dieses Vorwort äußerst knapp gehalten und ermöglicht dem heutigen Anwender keinen Zugang zu diesem Repertorium.

Zeitgleich zum Kartenrepertorium und zum GA-4 erschien die 4. Auflage des „Synoptic Key“ und diese weist die Besonderheit auf, daß große Teile aus dem dazugehörigen Vorwort weggelassen wurden. Der weggelassene Teil bezieht sich auf den bisherigen Vorschlag Boger‘s zur Hierarchisierung. Diese Veränderung und weitere Hinweise (s.u.) legen die Vermutung nahe, daß sich etwa zu dieser Zeit die Vorstellungen Boger‘s bzgl. Hierarchisierung veränderten. Im indischen Nachdruck des Synoptic Key, zunächst der „Memorial Edition“ und später der 5. Auflage wurde der weggelassene Teil wieder hinzugefügt – vermutlich spiegelt dies nicht die Intention Boger‘s wieder (Ho00).

Weitergehende Informationen können nur den Boger‘schen Zeitschriften-Artikeln entnommen werden, die zum großen Teil in einer Zusammenfassung erhältlich sind bzw. waren (CW, SPH, SMM). Die hier abgedruckten Artikel Boger‘s behandeln meist allgemeine philosophische und medizinische Aspekte, lassen somit Rückschlüsse auf seine Haltung zur Fallaufnahme, zur Hierarchisierung, zur Betrachtung der Materia Medica etc. zu, ermöglichen jedoch keinen konkreten Einblick in seine Anwendung des GA.

Interessante Details hierzu finden sich dagegen in den Artikeln anderer Autoren, die ihre Ideen zum Teil während der Anwesenheit Boger‘s vortrugen und in denen sich anschließend rege Diskussionen unter seiner Beteiligung entwickelten. Diese wurden veröffentlicht in den „Proceedings of the International Hahnemannian Association“ und zudem in der angeschlossenen Zeitschrift „Homeopathic Recorder“.

So wird in (EN25) auf das Erscheinen der Erstauflage des „General Analysis“ hingewiesen, in (Gr32) entwickelt sich anschließend an Julia Greens Vortrag über Repertorisation eine Diskussion, der wichtige Aspekte Boger‘s zum GA zu entnehmen sind, in (Ro31) stellt H.A. Roberts das neu erschienene Karten-Repertorium vor und weist darauf hin, daß es durch die Versendung von Ergänzungskarten ständig aktualisiert wird.

Vier Jahre nach Boger‘s Tod widmet Royal Hayes (Ha39) einen Artikel dem GA, das er für das wichtigste Repertorium überhaupt hält. In der daran anschließenden Diskussion jedoch zeigt sich, daß schon jetzt dieses GA aus dem Bewußtsein der Anwender schwindet und kaum noch jemand damit umzugehen weiß. In der amerikanischen Homöopathie-Welt gerät es schließlich in Vergessenheit.

Als jedoch im selben Jahr 1939 die indische Ausgabe des GA erscheint (GA-6), wird ein Vorwort von L.D. Dhawale beigelegt, der mit Boger in Briefkontakt stand und der - kurz vor Boger‘s Tod - einen Brief von ihm erhielt, der seine veränderten Vorstellungen bzgl. Hierarchisierung beinhaltete und darauf hinwies, daß er bis zuletzt an Verbesserungen bzgl. GA und BBCR arbeitete. Dieser Brief ist im Homöopathie-Lehrbuch von Dhawale‘s Sohn (Dha) abgedruckt. Das Vorwort L.D. Dhawale‘


- in dem alle Argumente in der bereits aufgeführten Literatur belegbar sind - ermöglicht nun erstmalig dem Leser einen Einblick in die GA-Denkweise und vermittelt den korrekten Umgang damit.

In der von Dhawale gegründeten ICR-Schule in Bombay wurde die Arbeit mit Boger‘s Repertorien lebendig erhalten. Dies führte z.B. auch zu der Veröffentlichung von Kassad (Kas), in der dieser die Denkweisen von Kent, Bönninghausen und Roger auf unvergleichliche Weise einander gegenüberstellte.

Nachdem P. Sankaran das Kartenrepertorium Boger‘s ergänzte, veröffentlichte er eine einführende Broschüre hierzu (PSan). Weitere historische Details finden sich in dem Buch von Julian Winston (Winst).

Die im Folgenden dargestellte Annäherung an das GA bezieht sich auf diese Quellen. Alle aufgeführten Quellentexte, die nicht im Buchhandel erhältlich sind, können in (Wi00) eingesehen werden.



Der Aufbau des General Analysis

Beim ersten Blick auf das „General Analysis“ fällt die alphabetische Anordnung der Rubriken auf. Es sind überraschend wenige Rubriken mit überraschend wenig Arznei-Einträgen aufgeführt. Es mag zunächst befremdlich erscheinen, daß bei einer Rubrik wie „Motion agg - Bewegung verschlimmert“ lediglich 12 Arzneien aufgeführt werden, während in anderen Repertorien ein Vielfaches davon erscheint. Die Arzneien - vorwiegend Polychreste - werden in drei verschiedenen Wertigkeiten aufgelistet. Diese Wertigkeiten sind nirgends definiert, aus dem Gesamtzusammenhang können sie jedoch folgendermaßen interpretiert werden:


Wertigkeiten des GA


1 Normaldruck klinisch verifizierte Charakteristika

2 Fettdruck oft verifizierte Charakteristika

3 GROSSDRUCK sehr oft verifizierte Charakteristika



Somit sind die in der Rubrik „Motion Agg - Bewegung verschlimmert“ aufgeführten Arzneien BELL und BRY herausragend oft bei der Heilung von Patienten mit diesem Symptom aufgefallen. Die aufgeführten Rubriken sind teilweise von anderen Repertorien bekannt, teilweise jedoch spiegeln sie die besondere Denkweise Boger‘s wieder und bedürfen näherer Erläuterung.



Regional-Rubriken

Besonders auffällig sind zunächst die überraschend oft vertretenenen Rubriken. die das betroffene Gewebe oder den anatomischen Schwerpunkt der Krankheit wiedergeben. Während Lokal-Rubriken in der Kent‘schen Repertorisation wenig Beachtung finden, spielt die in seinen GA-Rubriken aufgeführte Region für Boger eine weitaus wichtigere Rolle:


„Der Sitz der Krankheit weist häufig auf die entscheidenden Indikationen hin, da fast jede Arznei auf bestimmte Teile: des Organismus deutlicher einwirkt und nur selten der ganze Körper gleichermaßen betroffen ist nicht einmal der Art nach. Unterschiede treten bei den sogenannten lokalen Krankheiten auf und bei den systemisch geltenden Krankheiten wie Gicht oder Rheuma. Manches Mal leidet die rechte, dann wieder die linke Seite mehr, oder die Schmerzen erscheinen diagonal usw.


Das Maß der Aufmerksamkeit für den betroffenenen Körperteil ist notwendigerweise analog zum Ausmaß der dazugehörigen allgemeinen Krankheit. Somit können allgemeine Ausdrucke wie Kopfschmerzen, Zahnschmerzen, Bauchschmerzen usw. - auch wenn die Schmerzart ausgedrückt wird - nicht das geringste zu einer vernünftigen Arzneiwahl beitragen.

Es ist notwendig. den Sitz der Krankheit exakt Festzustellen, da jeder erfahrene Homöopath weiß, daß es z.B. bei Zahnschmerzen notwendig ist, die Arznei zu suchen, die in ihren Prüfungen wiederholt auf genau den leidenden Zahn eingewirkt hat. Die spezifische Heilkraft von Sepia bei diesen hartnäckigen und manchmal fatalen Gelenkabszessen der Finger und Zehen ist diesbezüglich außerordentlich aussagekräftig, da sie sich von anderen Eiteransammlungen nur durch den Ort unterscheiden und die gewöhnlichen „Abszeß-Arzneien“ hierbei wirkungslos bleiben.“

ins Deutsche übertragener Auszug aus
C.M. Boger : „Choosing the remedy“
enthalten in „Studies in the Philosophy of Healing“
nicht datierbar



Boger legt somit großen Wert auf die exakte Lokalisation, aber die Regionen dürfen im GA ausschließlich dann herangezogen werden, wenn sie nicht lediglich der Schauplatz eines funktionellen Geschehens sind (z.B. Kopfschmerz), sondern wenn strukturelle Veränderungen (z.B. Eiter oder Malignome) dem Ort eine herausragende Stellung innerhalb einer schwereren Erkrankung verleihen.


„Bei einer Krebserkrankung des Uterus würde ich unter Uterus nachsehen. Die Klassifikation richtet sieh streng nach dem betroffenenen Gewebe, Wenn z.B. eine Infektion im Bein vorliegt, ist der muskuläre Teil des Beines betroffen, das muskuläre System also. Schaut nach bei den Muskeln. nicht beim Bein.“


ins Deutsche übertragener Auszug aus
FINDING THE SIMLLIMUM-Discussion
(C.M. Boger in Proceedings of IHA 45th -1924)



Somit sind strenge Anforderungen an die Anwendung der Regional-Rubriken gestellt. Um Schwerpunkte bestimmter Regionen repertorial ausdrücken zu können, mußte Roger ähnliche Gebiete oder Gewebe zusammenfassen. Einige der oben erwähnten Regionen können nur im BBCR nachgesehen werden, andere waren für die Praxis so wichtig. daß Boger sie in das GA integrierte.


Die bereits bei Bönninghausen angelegte Rubrik „Drüsen“ (PB2000) umfaßt alle Drüsen-Organe. Kassad (Kas) interpretierte diese Rubrik folgendermaßen:


GLANDS - Drüsen


Tonsillen, Peyer-Plaques, Waldeyerscher Rachenring, Lymphknoten, Leber, Milz, Thymus, Speicheldrüsen, schleimabsondernde Drüsen (Magen, Darm), Talgdrüsen, Schweißdrüsen, Tränendrüsen, Nieren, Hormondrüsen (Hypophyse, Schilddrüse, Nebenschilddrüse, Pankreas, Nebennieren, Eierstöcke, Hoden, Prostata, Mammae)



Bei einem pathologischen Schwerpunkt auf Drüsengewebe kann diese Rubrik umso hilfreicher sein, je schwerwiegender die Pathologie ist. im Falle von Krebs-Erkrankungen führt der Vergleich der Boger‘schen „Glands“-Rubrik mit den Erfahrungen von C. Burnett bzgl. z.B. Brust-Krebs-Arzneien (Stichwort Organspezifität) zu verblüffenden Parallelen. Die „Boger‘sche Region“ schafft somit zwanglos eine Verbindung von bisher sehr unterschiedlichen Ansätzen in der Homöopathie. Analoge Interpretationen werden von Kassad (Kas) auch bzgl. anderen Regionen gegeben und werden hier zur Diskussion gestellt:


ORIFICES - Körperöffnungen


Augen. Ohren, Nasenlöcher, Mund, Brustwarzen, Hautporen, Urethra, Vagina, Cervix (innen und außen), Anus



SKIN - FOLDS, FLEXURES OF - Hautfalten


Gelenkbeugen, Haut zwischen Fingern und Zehen, Leiste, Achseln, retroaurikulärer und retromammärer Sulkus



FIBROUS TISSUE - Fibröses Gewebe


Schwäche der Bänder, Muskeln, des elastischen Gewebes, Neigung zu Verstauchungen. Verdrehungen, Prolaps. Hernien, Empfindung des nach draußen oder unten Drängens, Sphinkterschwäche, schlaffes Gewebe an den Wangen oder am Bauch, Ptosis, Rückenschwäche mit Schmerzen, allgemeine Schwäche und Parese, Krampfadern, Striac, Gleichgültigkeit, Apathie, Trägheit, Dumpfheit, Retardierung, Herzlosigkeit, Gefühlsarmut, Missanthropie



Bei Letzterem fällt auf, daß die Auslegung der Boger‘schen Regionalrubrik letztlich bis ins Gemüt fortgeführt wird. Ob dies den Intentionen Boger‘s entspricht, kann nicht belegt werden, die bisherigen Erfahrungen in der Praxis lassen dies jedoch als mögliche Auslegung denkbar erscheinen.


Pathologische Allgemeinsymptome

Dieser Begriff wurde von Kassad verwendet (Kas), um diese Besonderheit Boger‘s auszudrücken - Symptome, die die Idee der Pathologie bzgl. des gesamten Organismus widerspiegeln. Folgende Beispiele - interpretiert von Kassad (Kas) - geben die
Idee am Besten wieder:


CRAMP - Krampf


willkürliche Muskulatur (z.B. Zuckungen, Myokionus, Tics, Choreoathetose, Tremor, Konvulsionen, Tetanie, hysterische Spasmen, Epilepsie, Krämpfe, Schluckauf, krampfhaftes Gähnen, Lachen, Weinen)

Herzmuskel (z.B. Angina pectoris)

glatte Muskulatur:
Atemwege (z.B. Asthma, Keuchhusten etc), Gastrointestinaltrakt (z.B. Ösophagusspasmen, Pylorus-Spasmen, Darmkrämpfe, Rektal-Tenesmus, Gallenkolik, Pankreaskolik, Speicheldrüsenkolik). Urogenitalsystem (z.B. Harnleiterkolik, Blasentenesmus, Menstrualkolik, Vaginismus), Arterien (z.B. ischaemische Herzkrankheit, Raynaud‘sche Krankheit)

Gemüt: Anfälle heftiger Reizbarkeit



(BLOOD) SEPSIS


septische Erkrankungen, Septikaemie, Pyaemie, lokale Abszesse oder Eiterungen, Eitertaschen, Karbunkel, Furunkel. infizierte Skabies, Wunden oder Geschwüre, Panaritium etc., Eiterbläschen auf der Haut, Zahnwurzelabszeß, Eiterungen der Drüsen etc.



YELLOW - gelb

gelbe Absonderung der Haut oder Schleimhäute, gelber Zungenbelag, Gelbsucht, gelbe Farbe bei Sehstörung, gelber Eiter in Geschwüren oder Wunden



Auch hier führt Kassad die Generalisierung der Pathologie bis ins Gemüt fort. Dieser Punkt ist sicherlich diskussionswürdig, aber nicht theoretisch, sondern nur durch die Praxis klärbar. Bei der Rubrik „Yellow“ fällt auf, daß völlig unterschiedliche Prozesse hier aufgeführt werden (z.B. Gelbsucht <-> Gelbsehen). Die Betrachtung der Materia Medica von z.B. Sepia zeigt. daß gelbe Hautfarbe, gelbe Sekrete aller Art, gelbes Farbensehen, die „Gelbsucht“ etc. vertreten sind und hierbei mit dem Wort „gelb“ eine große Zahl unterschiedlicher Symptome elegant zusammengefaßt werden kann. An dieser Stelle muß jedoch betont werden, daß Boger eine derartige Rubrik nicht unbedingt als Vorschlag zur Generalisierung ansah, sondern zunächst als eine Art „Schublade“, in der auch unterschiedliche Dinge abgelegt werden konnten und bei Bedarf dort gefunden werden konnten. Somit muß bei derartigen Rubriken nicht über die Generalisierbarkeit dieser unterschiedlichen Aspekte diskutiert werden, eine rein pragmatische Zusammenfassung ist sicherlich ohne Weiteres möglich.


Empfindungen und Beschwerden

Rubriken dieser Art wurden bereits von Bönninghausen in seinem Therapeutischen Taschenbuch aufgeführt und bedürfen somit keiner näheren Interpretation:


                  „Angina pectoris“
                  „Alive sensation“ (Lebendigkeitsgefühl)
                  „Boring etc.“ (Bohren...)"
                 „Migraine“

etc. sind Beispiele hierfür. Die Anwendung dieser Rubriken unterliegt jedoch wesentlich strengeren Kriterien, als dies von Bönninghausen her bekannt ist und wird später genauer angegeben.


Gemüt

Obwohl aus Boger‘s Veröffentlichungen (CW) eindeutig hervorgeht, daß er dem Gemütszustand des Kranken höchste Priorität zukommen ließ, setzte er dieses weniger im repertorialen Teil seiner Arbeit um als vielmehr in der vergleichenden Materia Medica. Es erscheint auch völlig unmöglich, die so unterschiedlichen Facetten möglicher Gemütszustände in einem kleinen Repertorium erfassen zu wollen. So erlauben nur sehr wenige GA-Rubriken die Repertorisation ganz markanter Gemütssymptome wie z.B.

                 „Anger“ (Zorn
                 „Fearsome“ (furchtsam
                 „Company, etc. Agg.“ (Gesellschaft Agg.)


Der Gemütszustand war für Boger - so wie für Hahnemann und Bönninghausen - offensichtlich „ausschlaggebend“ (im Sinne des §211 des Organon) bei der Differentialdiagnose der in Frage kommenden Arzneien.


Der zeitliche Verlauf

Kassad (Kas) hebt als eine weitere Besonderheit Boger‘s dessen zeitliche Perspektive des Krankheitsgeschehens hervor. Rubriken wie

„Alternating effects..“ (Wechselnde Effekte...)

„Increasing and decreasing slowly, etc.“ (Zunehmen langsames, dann allmähliehes Vergehen...)

„Shooting, darting like lightning, quick pains“
(Schießen, blitzartig, schnell auftretender Schmerz)

„Time“ (Zeitrubriken)

ermöglichen die Berücksichtigung der zeitlichen Verlaufsform der Erkrankung.


Modalitäten

Bereits hei Bönninghausen wurde die herausragende Rolle von Modalitäten besprochen. Manche der im CA aufgeführten Modalitäten finden sich zudem in ihrem gegenteiligen Ausdruck:





Company, agg.                       Motion, agg.
Company, amel.                      Motion, amel.
Discharges, amel                    Pressure, agg.
Discharges, agg.                    Pressure, amel.
Eating, agg.                             Sleep, agg.
Eating, amel.                            Sleep, amel.
Lying, agg.                              Uncovering, agg.
Lying, amel.                             Uncovering, amel.


Boger’s Einschätzung bzgl. der Modalitäten


Wenn die Symptome auf eine besondere Arznei hinzuweisen scheinen, mit der jedoch. die Modalitäten nicht übereinstimmen, ist diese “nur negativ, indiziert und der Behandler sollte dringend an der Eignung dieser Arznei zweifeln.“


ins Deutsche übertragene Auszug aus
C. M. Boger; Choosing the remedy
enthalten in „Studies in the Philosophy of Healing“
nicht datierbar


Legt eine mögliche Anwendung im Sinne der Polaritäten Bönninghausen‘s nahe (PB2000), d.h. wenn die Modalität des Kranken im Widerspruch zu der im CA aufgeführten Modalität zu sehen ist, sollte nach einer passenderen Arznei gesucht werden.


Die Verwendung der Rubriken

Alle im GA aufgeführten Rubriken dürfen weder im Sinne des Kent‘schen Repertoriums, noch im Sinne des Bönninghausen‘schen Therapeutischen Taschenbuches angewendet werden. Versuche, das CA ohne nähere Kenntnisse der Boger‘schen Denkweise anzuwenden, führen unweigerlich zum Scheitern. Bisher wurden die Besonderheiten einzelner Rubrikenarten angesprochen, aber für die korrekte Anwendung müssen noch andere Aspekte betrachtet werden.


Annäherung an das General Analysis

Um eine Annäherung an das GA besser nachvollziehen zu können, soll die Vorgehensweise anhand eines konkreten Falles verdeutlicht werden.


4-jähriges Mädchen - akute Mittelohrentzündung


Ein HNO-Arzt diagnostiziert eine linksseitige Mittelohrentzündung mit eitriger „Einblutung“ und Verwölbung des Trommelfells. Die verordneten Antibiotika und Schleimlöser wurden nicht verabreicht, Zwiebelsäckchen werden als zu heiß nicht toleriert, im Vorfeld wurde bereits Puls Dl2 und Hep 06 ohne Erfolg verabreicht.
Das Ohr ist schmerzhaft hei Druck, die Nase lief (gelb-grünes Sekret, ist jetzt jedoch verstopft, die Knie sind nachts schmerzhaft, die Decke wird weggestrampelt, nächtliche Unruhe. Die Stimmung ist in Ordnung. ‘Möglicherweise hat die Erkrankung mit dem aktuellen Vollmond zu tun, der beim Bruder immer für Verschlimmerungen sorgt.




Wie kann nun vorgegangen werden? Das wahllose Anwenden aller angegebenen Symptome wurde beispielsweise folgende Karten nahelegen:

              Side left (Seite links)
              Ears (Ohren)
              Heat of fire, sun, overheating etc. Agg.
              (Hitze,..., Überhitzung verschlimmert)
              Pressure Agg. (Druck <)
              Nose and Accesory Cavities
              (Nase und Nebenhöhlen)
              Yellow (gelb)
              Greenish (grünlich)
              Limbs lower (Gliedmaßen, untere)
              Night agg. (nachts <)
              Restlessness (Ruhelosigkeit)
              Moon Phases Agg. (Mondphasen <)

Für jeden Praktiker ist es offensichtlich, daß dieses Vorgehen mit Sicherheit zu keinem sinnvollen Ergebnis führt. Keine Arznei ist mehr durch eine durchgängige Lochung erkennbar und die in den Zwischenschritten noch durchschimmernden Arzneien tragen nur viel zu selten zur Heilung bei.

Folgende Fragen tauchen auf:

           - Eignet sich der vorliegende Fall für die teilweise oder
             ausschließliche Anwendung des GA?

           - Welche Rubriken können unter welchen Umständen
              in welcher Reihenfolge herangezogen werden ?

           - Wie ist das Repertorisationsergebnis einzuschätzen?

Drei Schritte sollen die richtige Vorgehensweise näherbringen:

           - Die Vogelperspektive

           - Die anatomische Wirkungsrichtung

           - Die Verankerung der Symptome


Schritt 1 - Die Vogelperspektive

Die Aufgabe jeglicher Art von Repertorisation besteht darin, das ursprüngliche Bild des Krankheitsfalles oder der Symptomatologie des kranken Menschen durch eine geeignete Auswahl von Rubriken zu erfassen. Nach dem Zusammensetzen der Rubriken soll eine ausgewogene und identifizierbare Darstellung des ursprünglichen Bildes möglich werden.

Bild01

Für dieses Vorgehen bewährten sieh in der Homöopathie Geschichte zwei unterschiedliche - aber einander ergänzende Vorgehensweisen. Eine dieser Möglichkeiten betrachtet die Totalität genau beobachteter Detailsymptome und ermöglicht deren Repertorisation durch umfangreiche Nachschlagewerke. Dies ist der Fall in der Kent‘schen Repertorisation und - bei C.M. Boger -

durch die Anwendung seines „Boger-Bönninghausen‘s Characteristics and Repertory“. Hierbei ist von großer Bedeutung, daß die Totalität der Symptome nicht aus den Augen verloren wird.

Bild02

Die andere Vorgehensweise besteht darin, die wesentlichen charakterisierenden Stränge in dem vorliegenden Bild zu erkennen und in einem - vergleichsweise kleinen - Nachschlagewerk zu repertorisieren. Hierbei werden nur die äußerst markanten Elemente verwendet, die ihre Entsprechung in ähnlich markanten Elementen der Arzneimittel finden müssen, Hierfür geeignete Repertorien sind das Bönninghausen‘sche Therapeutische Taschenbuch, das Bogersche „Synoptic Key“ und - in besonderem Maße - das „General Analysis“.

Bild03

Ganz besonders galt auch für CM. Boger, daß er sich niemals auf lediglich eine dieser Vorgehensweisen fixiert hatte. Bis zu seinem Lebensende verfeinerte er sowohl das BBCR als auch das GA, was darauf schließen läßt, daß er beide Wege für notwendig hielt und die Wahl des Weges bzw. die Kombination beider Wege von dem jeweils vorliegenden Fall abhängig machte.


„Was mich bei der Erstellung dieses Buches am Meisten beeindruckt hat war - außer Boger‘s technischem Können als Homöopath - seine Fähigkeit, sowohl die Vogelperspektive als auch Details des Ausdrucks des Lebendigen im Auge zu behalten, war sein Sinn für Proportionen und seine Fähigkeit, die Dinge in der richtigen Perspektive zu sehen. “


R. Bannan im Vorwort zu
„C.M. Boger: Collected Writings“


Für den Umgang mit dem GA bedeutet dies, daß hierfür die „Vogelperspektive“ eingenommen werden muß, daß nur Symptome herangezogen werden dürfen, die das gesamte „Bild“ charakterisieren.




„Was eine Heilung oft erschwert, ist die Oberbetonung von Einzelheiten auf Kosten des Krankheitsbildes als Ganzes, wobei seine Symmetrie zerstört wird und eine verzerrte Wahrnehmung des natürlichen Ausdrucks der Erkrankung die Folge ist.


Dies bedeutet natürlich nicht, daß alle Symptome auf derselben Ebene stehen, da gewisse Effekte stärker herausragen als andere aber sie sind wesentliche Bestandteile davon.

Auf diese Art müssen wir unsere Arzneien kennenlernen - so wie wir es mit Freunden tun - durch ihre Erscheinung oder ihre Persönlichkeit; eine ständig sich verändernde, zusammengesetzte Wirkung, die jedoch immer das gleiche Motiv wiederspiegelt.“

Cyrus Maxwell Boger
im Vorwort zum „Synoptic Key of Materia Medica“


Konkret bedeutet dies, daß Modalitäten, Empfindungen, Lokalisationen etc. nur herangezogen werden dürfen, wenn sie über das Detailsymptom hinaus von Bedeutung sind. Wenn eine Modalität zwei oder drei Mal in unterschiedlichen Lokalisationen anzutreffen ist, beginnt sie, das Bild zu „charakterisieren“ (analog dem Bönninghausen‘schen Genius-Begriff) und eignet sich für die Anwendung des CA.

In der Vogelperspektive orientiert man sich an auffälligen, markanten Wegweisern. Diese sind so bedeutsam, daß sie in ähnlicher Ausprägung auch in der gesuchten Arznei auftreten sollten. Die Ähnlichkeitsbeziehung zwischen den Symptomen des Kranken und denen der Arznei ist somit eine andere als im Falle der Totalität der Detailsymptome.


Das Charakterisierende für den Kranken findet seine Entsprechung im Charakterisierenden der Arznei.


Im dem eingangs erwähnten Fall bedeutet dies, daß nur wiederholt aufgeführte Symptom-Teile mit dem CA repertorisiert werden dürfen:


4-jähriges Mädchen - akute Mittelohrentzündung


Ein HNO-Arzt diagnostiziert eine linksseitige Mittelohrentzündung mit eitriger „Einblutung“ und Vorwölbung des Trommelfells, Die verordneten Antibiotika und Schleimlöser wurden nicht verabreicht, Zwiebelsäckchen werden als zu heiß nicht toleriert, im Vorfeld wurde bereits Puls D12 und Hep D6 ohne Erfolg verabreicht.
Das Ohr ist schmerzhaft bei Druck, die Nase lief (gelb-grünes Sekret, ist jetzt jedoch verstopft, die Knie sind nachts schmerzhaft, die Decke wird weggestrampelt, nächtliche Unruhe. Die Stimmung ist in Ordnung. Möglicherweise hat die Erkrankung mit dem aktuellen Vollmond zu tun, der heim Bruder immer für Verschlimmerungen sorgt.


Die nächtliche Verschlimmerung wird zwei Mal erwähnt (Knie und Unruhe), fraglich ist allerdings, ob die Verschlimmerung
durch Vollmond (beim Bruder und evtl. bei der Patientin) herangezogen werden darf. Die beiden Karten

                Night agg (nachts <)
                Moon phases agg (Mondphasen <)

lassen - übereinander gehalten - nur die Arzneien Silicea, Arsenicum album und Phosphorus durchscheinen.

Eine große Zahl von Praxisfällen vermittelt einen Eindruck, inwiefern eine derartige Repertorisation ein „brauchbares“ Ergebnis bringt. Sicherlich wesentlich ergiebiger als die erste Repertorisation, liegt doch noch zu viel Unsicherheit in diesen - teils etwas wackeligen - Modalitäten. Oft genug würde diese Form von Repertorisation noch ins Leere führen. Dies bedeutet. daß das Auflisten charakteristischer Symptome für die praktische Anwendung des CA zwar Voraussetzung ist, aber häufig nicht ausreicht, um zu einem guten Ergebnis zu gelangen. Somit muß weiter in der Quellen-Literatur nach Hinweisen gesucht werden, was zudem zu beachten ist.


Schritt 2 - Die anatomische Wirkungsrichtung

Der entscheidende Hinweis bezüglich einer ungewöhnlichen Hierarchisierung findet sich in Boger‘s Brief an Dhawale, den er kurz vor seinem Tod verfaßt hat:


„Beim Sammeln aller Symptome eines gegebenen Syndroms ist es nicht immer leicht, das zentrale Symptom herauszufinden, in das sich alle anderen einfügen, und selbst, wenn dies einmal erfolgt ist, ist es keineswegs leichter, es im Wirkungsfeld einer Arzneiprüfung gemeinsam mit den meisten anderen wesentlichen Symptomen zu finden. Die Methode verlangt Umsicht und Scharfsinn. Die umgekehrte Methode stellt alle Symptome zusammen, legt den Schwerpunkt auf die numerische Häufigkeit, verlässt sich jedoch auf die feinere Differenzierung; dies ist extrem arbeitsaufwendig und aus vielen Gründen oft unpraktisch.


In meinem Kartensystem habe ich einen Mittelweg gewählt, indem ich die anatomische Wirkungsrichtung bestimme, in der ein Symptom erscheint oder vorkommt, diese zunächst durch die Modalitäten einschränke und dann die Anzahl der verbleibenden Arzneien reduziere, indem ich die diskreten Symptome berücksichtige, die im Kent gefunden werden können. Dies reduziert die Arzneien bald auf eine kleine Zahl, bei der die Übersicht über den in der Pathogenese vorgegebenen Gemütsbereich die Entscheidung bringt.“

ins Deutsche übertragene Auszug aus
C.M. Boger‘s Brief an L.D. Dhawale - 1935
(Aus M.L. Dhawale - ‚.Principles and Practice of
Homoeopathy“)


Der Schwerpunkt der GA-Repertorisation liegt somit nicht - wie es den früheren SK-Vorworten zu entnehmen ist - hei den Modalitäten, sondern bei der „anatomischen Wirkungsrichtung“ (anatomical sphere), unter der die anatomische Struktur und deren Veränderung zu verstehen ist. Aus der Perspektive der Kent‘schen Hierarchisierung mag dies zunächst befremdlich erscheinen, aber - so notwendig die Kent‘sche Hierarchisierung im Rahmen ihrer Ähnlichkeitsbeziehung sein mag  (Totalität der

Detailsymptomatik) - im Falle der „Vogelperspektive“ muß mit anderen Gesetzmäßigkeiten gerechnet werden.

Im Kapitel über „Regionalrubriken“ wurde bereits darauf hingewiesen, daß der Sitz der Krankheit von großer Bedeutung ist, wenn das dazugehörige Krankheitsgeschehen ebenfalls bedeutsam ist. Somit verleihen pathologische Veränderungen wie Entzündungsprozesse, Eiterungen, Geschwüre, Malignome etc. dem Ort des Geschehens entsprechendes Gewicht. Allerdings ist die Regionalrubrik ohne Relevanz, wenn Beschwerden wandernder Natur sind oder eine lediglich funktionelle Konzentration auf dieses Organ vorliegt. Andererseits sind die GA-Rubriken umso verläßlicher, je schwerwiegender die - natürlich den ganzen Menschen betreffende - Pathologie ist.

Wenn wir uns erneut dem betrachteten Fall zuwenden, erlaubt uns die „anatomische Wirkungsrichtung“, die Repertorisation zu erweitern.


4-jähriges Mädchen - akute Mittelohrentzündung


Ein HNO-Arzt diagnostiziert eine linksseitige Mittelohrentzündung mit eitriger ‚“Einblutung“ und Vorwölbung des Trommelfells. Die verordneten Antibiotika und Schleimlöser wurden nicht verabreicht. Zwiebelsäckchen werden als zu heiß nicht toleriert, im Vorfeld wurde bereits Puls Dl2 und Hep D6 ohne Erfolg verabreicht.
Das Ohr ist schmerzhaft bei Druck. die Nase lief (gelb-grünes Sekret, ist jetzt jedoch verstopft, die Knie sind nachts schmerzhaft, die Decke wird weggestrampelt, nächtliche Unruhe. Die Stimmung ist in Ordnung. Möglicherweise hat die Erkrankung mit dem aktuellen Vollmond zu tun, der beim Bruder immer für Verschlimmerungen sorgt.


Der Schwerpunkt der Erkrankung liegt natürlich im Ohr, die Art der Veränderung ist - laut HNO-Befund - eine Eiterung. Die nächtliche Verschlimmerung wird zwei Mal erwähnt (Knie und Unruhe), fraglich ist allerdings, ob die Verschlimmerung durch Vollmond (beim Bruder und evtl. bei der Patientin) herangezogen werden darf. Die vier Karten

                   Ear (Ohr)
                   Suppuration (Eiterung)
                   Night agg (nachts <)
                   Moon phases agg (Mondphasen <)

lassen - übereinander gehalten - nur die Arznei Silicea durchscheinen. Da für alle Arten von Repertorisation gilt, daß sie niemals bis auf eine Arznei einschränken darf, wird die fragwürdigste der Karten entfernt. Es bleiben

                   Ear (Ohr)
                   Suppuration (Eiterung)
                   Night agg (nachts <),

wobei Silicea, Mercurius, Hepar sulfuris, Pulsatilla und Sulfur durchscheinen und der Rest der Differentialdiagnose auf das Studium der Materia Medica verlegt wird.

Viele - auf diese Art repertorisierte - Fälle lassen diese Vorgehensweise als sehr hilfreich erscheinen, allerdings werden besonders bei akuten Fällen ihre Grenzen erkennbar.

Schritt 3 - Die Verankerung der Symptome

Im Studium der Boger‘schen Veröffentlichungen fällt auf, daß er während seiner ganzen Praxiszeit - großen Wert darauf legte, akute Geschehnisse im Lichte der zugrunde liegenden chronischen Tendenz (Miasma) zu sehen.


„Bei chronischen Krankheiten ist es nützlich, die Besonderheiten jeder vergangenen Erkrankung herauszugreifen, diese mit den ungewöhnlichen Eigenheiten der gegenwärtigen Beschwerde zu verbinden und dann die Arznei zu suchen, die diese Kombination abdeckt, wobei immer daran gedacht werden muß, daß die jüngste Entwicklung am wahrscheinlichsten das wirklich entscheidende Symptom enthält. Es muß allerdings befürchtet werden, daß die Gewohnheit, die letzte Entwicklung den ganzen Fall überschatten zu lassen, etwas zu allgemein gehalten ist, als daß es zum Wohle des Patienten wäre.“


ins Deutsche übertragener Auszug aus
REASON AND FACT
(enthalten in ‚Studies in the Philosophy of Healing“
und „Collected Writings“ - 1920)



„Jeder Fall, sogar bei der gleichen Krankheit, zeigt eine leicht verschiedene Anordnung von Symptomen, besonders in der letzten und am meisten signifikanten Entwicklung, die üblicherweise nichts anderes ist als ein Herauskristallisieren eines weiteren Gliedes in der Kette individueller Symptome, die zur Lebensgeschichte des Patienten gehören.“


ins Deutsche übertragener Auszug aus
REPERTORIES (GRADING OF SYMPTOMS)
(enthalten in „The Study of Materia Medica“
und „Collected Writings“ - 1925)



„Die Fähigkeit, von jeder Lebensgeschichte die herausragenden und ungewöhnlichen - gehäuft und bei vielen Krankheitsformen auftretenden - Merkmale zu extrahieren, und dann das Finden des Gegenspielers in der Pathogenese einer Arznei, dies bedeutet das Potential zur tiefen Heilung ...“


ins Deutsche übertragener Auszug aus
FINDING THE SIMILLIMUM
(enthalten in „Studies in the Philosophy of Healing“
und „collected Writings“ - 1930)



„So sehr wir unsere akuten Arzneien auch brauchen, verwendet sie der Verschreiber immer weniger, je mehr er in seiner Arbeit wächst.“


ins Deutsche übertragener Auszug aus
THE UNDEVELOPED PICTURE
(enthalten in „Studies in the Philosophy of Healing“
und „Collected Writings“ - 1938)




Hier ist Bestreben erkennbar, jedes aktuelle Symptom durch Analogien in der Vorgeschichte abzusichern, als wesentliches Charakteristikum des Patienten (nicht nur der aktuellen Erkrankung) zu sehen und somit möglichst tief in der Krankenbiographie zu „verankern“. Derart abgesicherte Symptome sind solchermaßen charakterisierend für den Patienten, daß für ihre Repertorisation ein so „schmales“ Repertorium wie das GA herangezogen werden darf und sogar sollte, damit dieser „rote Faden“ seine Analogie in einer entsprechenden Arznei finden kann und nicht in einer großen Zahl von Arzneien mit minderer Ausprägung dieses Symptoms verloren geht.

Wenn diese Denkweise nun auf den betrachteten Fall des 4-jährigen Mädchens übertragen werden soll, muß somit nach früheren Otitiden, früheren Eiterungen, nächtlichen oder durch den Vollmond bedingten Verschlimmerungen gesucht werden. Tatsächlich war nichts dergleichen in Erscheinung getreten.

Aber die Boger‘sche „Verankerung“ der Symptome geht noch viel weiter. Seine Vorstellungen bezüglich der Familienanamnese wurden bereits von Jürgen Hofäcker publiziert (Ho96).


„Die Blutsverwandtschaft trägt unweigerlich bestimmte Krankheitsveranlagungen weiter, so daß wir durch das möglichst genaue Aufzeichnen der zehn bis fünfzehn nächsten Blutsverwandten und deren Beschwerden die relativen Anteile der verschiedenen vorhandenen Tendenzen ausarbeiten können. Diese Befunde zeigen, daß elterliche Einflüsse 50% ausmachen und am ehesten aktiviert sind. Großeltern und Kinder sind die danach bedeutsamsten Faktoren. Der Rest schließt eigentümliche Symptome ein, die von noch früheren Ahnen abstammen und von sehr hartnäckiger Natur sind.


Es zeigt sich, daß die aktuellen Symptome des Patienten sich in der Regel als Verstärkung der hereditäten Befunde erweisen und ein Vergleich beider Symptomreihen normalerweise auf solche Repertoriumsrubriken hinweist, die schnell die ähnlichsten Arzneien zur Anwendung bringen. Dies ist besonders bei jenen einseitigen Fällen hilfreich, die Hahnemann die schwierigsten von allen nannte.

Lassen Sie mich die wissenschaftliche Genauigkeit und Schnelligkeit dieser Methode betonen, die mit offensichtlichen und objektiven allgemeinen Befunden beginnt und mit der Verwendung subjektiver Empfindungen und Gemütssymptome zur letztlichen Differenzierung endet. Darüber hinaus bahnt sie einen eigenen Weg quer durch das Repertorium hin zu einer tief wirkenden konstitutionellen Arznei für den Patienten.
...
ins Deutsche übertragener Auszug aus
FINDING THE SIMLLIMUM
(C.M. Boger in Proceedings of IHA 45th -1924)


An einer weiteren Textstelle können die Details seiner Denkweise noch konkretisiert werden:



„Durch die Vererbung erhalten wir die Veranlagung zu bestimmten Gewebsformationen und - zu einem gewissen Maße - zur Gemütslage, besonders erkennbar durch eigentümliche Symptome, die üblicherweise von früheren Ahnen als den Eltern stammen - d.h., sie stammen nicht von Vater und Mutter. Wir verwenden nicht nur die Erbanlagen des Patienten, sondern wir nehmen bei den Beschwerden der Verwandschaft solche, die sich in der Familie als auch in der Lebensgeschichte des Patienten selbst zeigen. Das führt zu einer Gruppe von Arzneien, aus der das letztliche Simillimum gesucht werden kann.“


„Zuerst werden die verschiedenen Organe oder Organsysteme aufgelistet und man sieht, welcher Anteil an Herz-Gefäß-Problemen verstarb und vergleicht es mit der Lebensgeschichte des Patienten. Dann schauen wir im Repertorium unter z.B. „Drüsen“, wenn dies die Indikation war, oder schauen unter „Blut“ oder „Herz“ oder „Kreislauf“.“

Frage:..Und wenn er an Krebs starb ?“

„Das hängt vom betroffenen Organ ab. Bei einer Krebserkrankung des Uterus würde ich unter Uterus nachsehen. Die Klassifikation richtet sich streng nach dem betroffenenen Gewebe. Wenn z.B. eine Infektion im Bein vorliegt, ist der muskuläre Teil des Beines betroffen, das muskuläre System also. Schaut nach bei den Muskeln, nicht beim Bein.“

ins Deutsche übertragener Auszug aus
FINDING THE
SIMLLIMUM- Discussion
(C.M. Boger in Proceedings of

IHA 45th-l924)


Es wird hierbei also verdeutlicht, daß eine vollständige Erfassung der Erkrankungen und Besonderheiten aller (direkter) Vorfahren bedeutsam ist, besonders um die „anatomische Wirkungsrichtung“ zu ermitteln. Die Ebene der Eltern trägt zu ca. 50%, die der Großeltern zu einem kleineren Teil bei. Weitere Parallelen finden sich bei Erkrankungen früherer Vorfahren und der Kinder. Herangezogen werden diejenigen Symptome, die sich in den Vorfahren und im Patienten wiederfinden. Diese sind der art charakteristisch, daß das GA für die Repertorisation verwendet werden kann.

Auch eigentümliche Symptome können im Patienten und seinen Vorfahren anzutreffen sein. Diese finden sich eher in der Ebene der Großeltern oder früher und erfordern das Nachschlagen in detaillierteren Repertorien (BBCR oder KENT) Nicht in Boger‘schen Schriften belegt, in der Praxis jedoch häufig bestätigt ist die Übertragung dieser Vorgehensweise auf Modalitäten und andere Charakteristika. Die Boger‘sche Betrachtungsweise der Familienanamnese weist starke Parallelen zu den - von seinem Kollegen J.H. Allen postulierten - „Hereditären Miasmen“ auf.


„Eigentümliche Symptome“

Groß-
mutter
Groß-
vater

25%
Groß-
mutter
Groß-
vater

„Charakteristika“


...
Mutter

50%
Vater

...

...
PatientIn
...

...
Kinder ...



Die natürliche Folge dieser Betrachtungen ist es, daß sich mitunter Arzneien herauskristallisieren, die für mehrere Familienmitglieder das Simillimum darstellen:


Es ist nicht ungewöhnlich, daß Anzeichen für die glei- che Arznei sich durch die ganze Familie „hindurchziehen“. Dies ist nicht befremdlich, wenn wir uns in Erinnerung. rufen, daß hier gleiche Gemüts- als auch körperliche Einflüsse wirken und daß die Vererbungen sehr wahrscheinlich einheitlicher Natur sind. Die Unterschiede sind im akuten Fall größer, aber wenn wir uns an konstitutionelle Veranlagungen und miasmatische Effekte annähern, werden sie immer geringer.


ins Deutsche übertragene Auszug aus
HOW SHALL I FIND THE REMEDY
(enthalten in ‚.Studies in the Philosophy of Healing“
bisher nicht eindeutig datierbar)


Für unseren Beispielfall bedeutet dies, daß die Familienanamnese auch für die akute Situation von Bedeutung sein mag:



4-jähriges Mädchen

- akute Mittelohrentzündung -

Familienanamnese:

Mutter:     Gelenkschmerzen (V. a. Streptokokken)
                  Wirbelsäule (Folgen von PDA während
                  Entbindung

Opa (mütterlicherseits):
                  Allergischer Dauerschnupfen,
                  Wässeriges Sekret,
                  Wirbelsäule (Bandscheibe, Halssteifigkeit),
                  Arthrose

Oma (mütterlicherseits):
                  Gallensteine

Opa (väterlicherseits):
                  Herzklappenerkrankung
                  (nach vereiterten Mandeln)

Eigenanamnese:

4-jähriges Mädchen - akute Mittelohrentzündung

Ein HNO-Arzt diagnostiziert eine linksseitige Mittelohrentzündung mit eitriger „Einblutung“ und Vorwölbung des Trommelfells. Die verordneten Antibiotika und Schleimlöser wurden nicht verabreicht, Zwiebelsäckchen werden als zu heiß nicht toleriert, im Vorfeld wurde bereits Puls Dl2 und Hep D6 ohne Erfolg verabreicht.
Das Ohr ist schmerzhaft bei Druck, die Nase lief (gelb-grünes Sekret, ist jetzt jedoch verstopft, die Knie sind nachts schmerzhaft, die Decke wird weggestrampelt, nächtliche Unruhe. Die Stimmung ist in Ordnung. Möglicherweise hat die Erkrankung mit dem aktuellen Vollmond zu tun, der beim Bruder immer für Verschlimmerungen sorgt.


Als familiäre Belastungen, die sich auch in der akuten Situation widerspiegeln, fallen die Gelenke auf, die Wirbelsäule (nach PDA während der Entbindung folgten Schmerzen in Wirbelsäule und Nacken: dadurch kann auch die Relevanz für die Neugeborene angenommen werden und die Lokalisation Wirbelsäule somit in die Krankenbiographie einfließen). Zudem fällt die Tendenz zu Eiterungen und zu Schnupfen auf. Die vier Karten

           Joint ... (Gelenke ...)
           Spine and Cord (Rücken, Wirbelsäule und Rückenmark
           Suppuration (Eiterung)
           Nose and Acessory Cavities (Nase und Nebenhöhlen)

bilden somit eine verläßliche Basis für die Verschreibung und schränken die Arzneimittel auf Silicea, Calcium carbonicum und Sulfur ein. Dies ist bereits eine zu enge Einschränkung und deshalb sollte bereits die letzte Karte mit Vorsicht verwendet werden.




„In Kartensystemen ist es üblich, die Arzneizahl auf 4 oder 5 einzuschränken und dann den Fall in der Materia Medica nachzuschlagen. Meine eigene Erfahrung ist es, daß ich selten die höchstrangige Arznei auswähle, die durch die Karten hindurchscheint. Diese ist selten indiziert. Meist ist es die zweite oder dritte in der Liste...


ins Deutsche übertragener Auszug aus
C.M. Boger‘s Diskussionsbeiträgen
im Anschluß an J. Greens Vortrag (Gr32)


Da sich jedoch zeigt, daß auch die bereits verwendeten Karten

               Rar (Ohr)
und        Night agg (nachts <)

immer noch Silicea und Sulfur durchscheinen lassen und selbst die etwas fragwürdige Karte

                Moon phases Agg (Mondphasen <)

immer noch Silicea übrig läßt, fällt - nach dem Studium der Arzneimittellehre - die Entscheidung für diese Arznei leicht.


Verlauf:


8.1.2001 15 Uhr: Sil Q1 VI
                (V1 = erstes Verdünnungsglas)

9.1.2001 >>(kurz nach Einnahme),
                redet „ohne Punkt und Komma“,
                Nase läuft wieder, anfangs eitrig,
                dann wässerig, ißt mehr, großer Appetit

12.1.2001 HNO-Arzt: Trommelfell-Vorwölbung
                verschwunden, „Einblutung“ verkrustet,
                im rechten Ohr etwas Flüssigkeit gebildet,
                regelrechter Heilungsverlauf.
                Seit gestern nicht mehr so viel reden
                Nasensekretion gestoppt
                => Wiederholung Sil Ql VI

15.1.2001 Redet wieder viel (gleich danach), alles o.k.

Beobachtungszeit bisher 9 Monate, kein Rezidiv.


Hierbei mußte - um eine „Verankerung“ der Symptome zu erreichen - die Familienanamnese herangezogen werden. Meist ist eine derartige „Verankerung“ jedoch mit der Krankenbiographie des Patienten alleine möglich. Wenn sie dennoch bis in die Familie zurückreicht, wird das Ergebnis umso verläßlicher.

Der vorliegende Fall zeigt, daß mit zunehmendem Wissen die Anzahl der verwendeten Karten größer wird. Meist genügen bereits zwei oder drei Karten, um die Anzahl der Arzneien auf ca. 5-6 zu reduzieren, so daß keine weitere Karte herangezogen werden sollte. Wenn jedoch mehrere Karten mit gewichtigen Symptomen dennoch die Arzneigruppe groß genug beläßt. ist das hierbei erzielte Ergebnis umso verläßlicher.



„Wenn sich der Verschreiber an dieses Repertorium gewöhnt, wird er dazu neigen, mehr Karten (Rubriken) einzusetzen als zu Beginn, d.h. er benötigt mehr Karten zum Abdecken der Löcher. Dies zeigt, daß der Benutzer gelernt hat besser einzuschätzen was zu verwenden und was zu ignorieren ist“


ins Deutsche übertragener Auszug aus (Ha39)
Royal Hayes:
REPERTORIES - BOGER‘S ESPECIALLY
(Vortrag vor der I.H.A -1938)


Aus dem besprochenen Beispiel geht auch hervor, daß eine -eigentlich - akute Erkrankung vor dem Hintergrund chronischer Tendenzen gesehen werden kann und daß somit die Grenze akut-chronisch mehr und mehr verschwimmt. Es wird auch deutlich. daß eine Verankerung der Symptome im chronischen Fall häufig leichter erkennbar ist und daß deshalb die Anwendung des GA bei einer chronischen Erkrankung oder bei Betrachtung des chronischen Hintergrundes einer akuten Erkrankung sicherer zum Ziel führt.

Zusammenfassung

Die Anwendung des General Analysis ruht somit auf drei Säulen

General Analysis

Vogel-
perspektive
Anatomische
Wechsel-
richtung
Symptom-
Verankerung

Nach dem bisherigen Stand der Annäherung an die Vorgehensweise(n) Boger‘s ermöglicht die Beachtung dieser Prinzipien die optimale Anwendung dieses Repertoriums. Die praktische Arbeit bestätigt diese Vorgehensweise.

Wenn wir uns nun an Boger‘s Brief an Dhawale erinnern


„In meinem Kartensystem habe ich einen Mittelweg gewählt, indem ich die anatomische Wirkungsrichtung bestimme, in der ein Symptom erscheint oder vorkommt, diese zunächst durch die Modalitäten einschränke und dann die Anzahl der verbleibenden Arzneien reduziere, indem ich die diskreten Symptome berücksichtige, die im Kent gefunden werden können. Dies reduziert die Arzneien bald auf eine kleine Zahl, bei der die Übersicht über den in der Pathogenese vorgegebenen Gemütsbereich die Entscheidung bringt.“


ins Deutsche übertragene Auszug aus
C.M. Boger‘s Brief an L.D. Dhawale - 1935
(Aus M.L. Dhawale -
„Principles and Practice of Homoeopathy“)


und diese Ausführungen mit den oben genannten, drei Prinzipien verschmelzen, kann eine Hierarchisierungs-Vorgabe für die Repertorisation mit dem GA entworfen werden.

Diese ist als erste Annäherung an das GA zu verstehen und kann

bei der Beantwortung der Frage helfen, ob und inwieweit das GA bei dem vorliegenden Fall eingesetzt werden kann. Wenn ja, darf dies nicht im Sinne eines starren Schemas, sondern vielmehr als Wegweiser für einen kreativen Umgang mit dem „Ausdruck des Lebendigen“ verstanden werden.


Repertorisieren mit dem General Analysis


Die Annäherung an „eine ständig sich verändernde, zusammengesetzte Wirkung, die jedoch immer das gleiche Motiv wiederspiegelt“, kann durch eine Ordnung der Symptome nach folgender Wertigkeit realisiert werden:

1) Anatomische Wirkungsrichtung

Falls die Symptome in verschiedenen Lokalisationen zum Ausdruck kommen und krankenbiographische und/oder familiäre Verankerungen vorliegen, werden

- strukturelle Veränderungen in Gewebe,
  Absonderungen, Organen und Systemen
- und körperliche Allgemeinsymptome, Empfindungen
  und Beschwerden

vorrangig herangezogen (z.B. „glands“ bei Mamma-Carcinom, „suppuration“ bei rezivierenden Eiterungen. „yellow“ bei gelben Absonderungen, „Stitches“, wenn Stiche an mehreren Orten auftreten etc.).

2) Spezifizierung

Die Arzneien werden - wenn sich dies bei unterschiedlichen Beschwerden wiederholt - durch

               - Charakteristische Begleitsymptome
               - Modalitäten
               - Causa

weiter eingeschränkt z. B „sleepiness“. wenn ausgeprägte Schläfrigkeit bei verschiedenen Beschwerden gleichzeitig auftritt „lying agg.“ , wenn verschiedene Beschwerden durch Liegen verschlimmert werden, „blows etc. bei Schlagfolgen etc.)

3) Differenzierung

Spezifische und lokale Svmptonie ermöglichen in Detail-Repertorien eine weitere „Feinabstimmung“ (z.B. „Verlangen nach Salz“ im Kent)

4) Entscheidung

Im Rahmen des Studiums der (vergleichenden) Materia Medica gibt der Gemütszustand den Ausschlag (z.B. weinerlich/sanftmütig etc. bei Pulsatilla).









General Analysis in der Praxis

Die Anwendung des General Analysis bedeutet keineswegs eine Abkürzung oder Vereinfachung bei der therapeutischen Arbeit. Statt dessen wird mehr Zeit für die Erarbeitung wesentlicher charakteristischer Züge benötigt, deutlich weniger Zeit allerdings für die manuelle Arbeit der Repertorisation. Diese Verlagerung des Arbeitsschwerpunktes kommt dem Patienten zu Gute. Die Mittelwahl wird sicherer, da die wesentliche Elemente nicht mehr aus den Augen verloren werden. Die Wahrscheinlichkeit, durch oberflächliche Verschreibungen Symptome zu unterdrücken, wird geringer.

Zu Beginn der Arbeit mit dem GA erschien die Chance, daß eine verwendete Rubrik die letztlich heilende Arznei enthielt, viel zu gering (ca. 40%). Durch die konsequente Anwendung der drei besprochenen Grundsätze (,‚Vogelperspektive“, „anatomische Wirkungsrichtung“ und ,‚Verankerung“) konnte diese Wahrscheinlichkeit auf ca. > 80% gesteigert werden, was für dieses kleine Repertorium eine äußerst große Effizienz bedeutet.

Die Praxis zeigt, daß bei sogenannten akuten Verschreibungen die Anwendung des GA häufig scheitert, wenn die Symptome nicht - wie im Text beschrieben - in der Vorgeschichte ,‚verankert“ werden können. Dann allerdings ist es von außerordentlich großer Hilfe und ermöglicht eine dauerhafte Heilung.

Bei chronischen Fällen erscheint mittlerweile ca. jeder 4. Fall alleine mit dem GA repertorisierbar, bei jedem zweiten Fall erscheint die Kombination von GA und z.B. Kent als die angemessenste Art der Repertorisation und beim restlichen Viertel der Fälle kommt das GA (beim jetzigen Wissensstand) nicht zum Zuge. D.h. bei 3/4 aller Fälle ist dieses kleine Repertorium eine wunderbare Hilfe. Die angegebene Hierarchisierungs-Vorgabe kann bei der Einschätzung helfen, ob der vorliegende Fall für die Anwendung des GA geeignet ist.

Kein Reperiorium ist jedoch absolut verläßlich. Die Homöopathie ist eine viel zu lebendige und lebensnahe Vorgehensweise, als daß sie sich in exakte Vorgaben, Anweisungen etc. fassen ließe. So ist auch mit dem CA Kreativität und Flexibilität erforderlich, mitunter auch ein ,‚spielerischer“ Umgang mit den Rubriken. Mit zunehmender Kenntnis der Rubriken und ihrer Bedeutung und mit zunehmender Fähigkeit, die charakteristischen Stränge in der Krankengeschichte des Patienten wahrzunehmen, steigt die Häufigkeit und Sicherheit der Anwendung dieses Repertoriums.

Die Arbeit mit dem GA steht noch am Anfang. Einiges scheint klar geworden zu sein, aber erst die breite Anwendung in der Praxis kann den Umgang damit verdeutlichen. Viele Rubriken sind in ihrer wahren Bedeutung vermutlich noch nicht ganz geklärt. Quellenstudium kann nur einen Teil der Fragen annähernd beantworten. Einem Praktiker wie Boger kann man sich nur durch intensiven Erfahrungsaustausch annähern.

Es bleibt zu hoffen, daß jetzt - 75 Jahre nach der Erstveröffentlichung - das „General Analysis“ im Sinne Boger‘s eingesetzt werden kann, daß es die Arbeit in der Praxis verläßlicher und befriedigender gestaltet und daß die Aufmerksamkeit des Behandlers sich nicht in umfangreichen Repertorisationen verliert, sondern voll und ganz dem Patienten gewidmet wird.



Karlsruhe, Oktober 2001                                       Norbert Winter



„Ich hoffe, Sie alle versuchen diese Methode und nächstes Jahr werden wir aus Erfahrung sprechen und nicht auf Vermutungen angewiesen sein.“


Abschluß der Diskussion in
C.M. Boger: FINDING THE SIMLLIMUM
Proceedings of IHA 45th - 1924





   Anschrift des Autors:

   Schule für Klassische Homöopathie
   Dr rer nat Norbert Winter - Heilpraktiker
   Haid- und- Neu-Str. 5a - 76131 Karlsruhe
   Tel 0721-9664242 - Fax 0721-9664245
   E-Mail: SKH-Winter@t-online.de


Literatur

Folgende Literatur wurde verwendet oder liegt zu Forschungszwecken vor:

(GA)          C.M. Boger
                  “General Analysis“ (GA1 ‚2,3,5,7)
                  GA1-6-Ausgaben vergriffen
                  GA-7 Neu-Auflage vom Autor herausgegeben
                  GA-7 englisch-deutsche Ausgabe incl.
                  Kartenrepertorium - B.v.d. Lieth-Verlag

(BBCR)     C.M. Boger
                  “Bönninghausens Characteristics and Repertory“
                  - B.Jain-Verlag, New Delhi

(SK)          C.M. Boger
                  “A Synoptic Key of the Materia Medica“
                  - 4. amerikanische Ausgabe (vergriffen)
                  - „Memorial Edition“ - Calcutta - vergriffen
                  - 5. indische Ausgabe - B.Jain, New Delhi

(PB46)      C.M. v. Bönninghausen
                  Therapeutisches Taschenbuch 1846
                  von der Lieth- Verlag

(PB2000)  C.M. v. Bönninghausen
                  Das Therapeutische Taschenbuch
                  Revidierte Ausgabe 2000

(PSan)      P. Sankaran:
                  “Einführung in die Therapeutische Taschen-Kartei
                  und Boger‘s Taschenrepertorium“
                  von der Lieth - Verlag

(Kas)        D K.N. Kassad:
                  Repertorial concept
                  Hahnemanni an Totality Symposion
                  Standardization Part III
                  Institute of Clinical Research
                  40, Parekh Street - Girgaon, Bombay 400004

(Dha)        M.L. Dhawale:
                  Principles & Practice of Homoeopathy
                  Institute of Clinical Research
                  40,.Parekh Street - Girgaon, Bombay 400004

(Winst)     J. Winston:
                  The Faces of Homoeopathy
                  Great Auk Publishing - 1999
                  ISBN 0-473-05607-0

(CW)        C.M. Boger
                  Collected writings. (Hrsg. Bannan)
                  Edinburgh, Churchill Livingstone, 1994
                  (vergriffen)

(SPH)        C.M. Boger
                  Studies in the Philosophy of Healing
                  2.Aufl.: B.Jain Publ., New Delhi 1995, 124 S.

(SMM)     C.M. Boger
                  The Study of Materia Medica
                  and Taking the Case
                  3. Aufl.: 3. Jain Publ., New Delhi 1961, 32 5.
                  (incl. .‚Grading of Symptom“)






(Bg08b)     C.M. Boger
                  The Study of Materia Medica
                  Proc. of the International Hahnemannian
                  Association 29th 1908 p. 207-217
                  (veröffentlicht in „Collected Writings“ und
                  „The Study of Materia Medica“)

(Bg25a)    C.M. Boger
                  Repertories (= „The Grading of Symptoms“)
                  Hom. Recorder Bd. XL 1925 p. 365-366
                  (veröffentlicht in „Collected Writings“ und
                  „The Study of Materia Medica“)

(EN25)      Editorial note - General Analysis
                  Homoeop. Recorder Bd. XL 1925 p. 429

(Ro31)      H.A. Roberts
                  A new analytical repertory
                  Homoeop. Recorder Bd. XLVI 1931 p. 345

(Gr32)       J. Green
                  Repertory Making, repertory uses
                  Hom. Recorder Bd. XLVII 1932 pp. 726-741
                  Homoeopathic Heritage, 1995,
                  Oct;20(10):685-700,

(Ha39)      R. Hayes
                  Repertories, Boger‘s especially
                  Homoeopathic Recorder Bd. LIV 1939 p. 12

(Ho96)      J. Hofäcker
                  Das Auffinden des Simillimums mit Hilfe der
                  Familienanamnese nach einer Methode
                  von Cyrus M Boger.
                  Archiv für Homöopathik ACD (1996) IV

(Ho00)      K. Holzapfel
                  Mittelfindung nach C.M. Boger
                  Zeitschrift für Klassische Homöopathie
                  KH 44/2000 5. 91

(Wi00)      N. Winter
                  Materialien zu C.M. Boger‘s
                  „General Analysis“ - Eigenverlag
                  Haid-u.-Neu-Str. 5a - 76131 Karlsruhe




Detaillierte Informationen zum Boger‘schen Stammbaum finden sich unter:
http://
www.uftree.com/UFT/WebPages/WinWood/BOGER/
http://
familytreemaker.generalogy.com/users/b/o/g/Brian-P-Boger/