von C.M. Boger
Korrektes
(homöopathisches) Verordnen ist die Kunst, die Prüfungssymptome (der
Arzneimittel) mit den Krankheitssymptomen (des Patienten) sorgfältig in
Übereinstimmung zu bringen und diese Kunst erfordert gegenwärtig eine besondere
Fähigkeit, die wesentlichen Züge eines Symptomenbildes zu verstehen, – eine
mühsame Plackerei bei der Beherrschung einer grundlegenden Kenntnis unserer
riesigen Materia Medica –und einen ausgesprochen sachkundigen Gebrauch vieler
Nachschlagewerke.
Das Ziel dieses Buches ist es, zu vereinfachen und
Methode in diese Arbeit zu bringen, so daß das wahrhaft heilende Homöopathicum
wesentlich leichter und sicherer herausgearbeitet werden kann. Zu diesem Zweck
schien eine Kombination der analytischen mit der synoptischen Methode das Beste
zu sein.
Um das Wesentliche eines krankhaften Symptomenbildes
zu erhalten, ist es am besten, den Patienten zu bitten, seine eigene Geschichte
zu erzählen, so oft dies möglich ist.
Dann wird der Bericht ergänzt und genauer bestimmt
durch den Befragenden, der zunächst versuchen sollte, die offensichtliche
Ursache und den Verlauf der Krankheit herauszufinden, wozu er noch alle Dinge
hinzufügen muß, die jetzt das Wohlbefinden des Kranken zu stören scheinen.
Besonders sollten die natürlichen Veränderer von Krankheit- die Modalitäten- sehr sorgfältig ermittelt
werden. Die weitaus wichtigsten solcher Einflüsse sind die folgenden:
Zeit,
Temperatur, frische Luft, Körperhaltung, Alleinsein, Bewegung, Schlaf, Essen
und Trinken, Berührung, Druck, Absonderungen etc.
Die Berücksichtigung des Gemütszustandes rangiert als nächstes in der Reihenfolge der
Wichtigkeit. Hier ist das Vorhandensein von Reizbarkeit, Traurigkeit oder
Furcht das Maßgebende.
Was den dritten Schritt anbetrifft, so muß eine
Beurteilung der eigenen Beschreibung, der Empfindung des Patienten erfolgen.
Dies ist ein sehr wichtiger Punkt und damit man nicht in die Irre geführt wird,
ist es immer gut, zu ermitteln, ob eine der folgenden Empfindungen ursprünglich vorhanden ist: Brennen, Krampfen,
Schneiden, Bersten, schmerzhafte Empfindlichkeit wie wund und Durst. Es mag
manche anderen Empfindungen geben, aber das Vorhandensein der eben genannten
stellt sie in den Schatten, besonders solche, die dem Spiel der
Einbildungskraft zuzuschreiben sind, wobei diese Tatsache an sich wichtiger ist
als die eingebildete Einzelheit.
Als nächstes in der Reihenfolge rangiert die ganze objektive Erscheinung oder der Ausdruck
der Krankheit. Besonders sollte dabei der Gesichtsausdruck, das Verhalten, die
nervöse Reizbarkeit, die Sensibilität, die Ruhelosigkeit oder die Betäubung ,
der Zustand der Absonderungen und jede abnorme Verfärbung, die vorhanden sein
mag, berücksichtigt werden.
Zuletzt muß der befallene
Teil ermittelt werden, und hier berührt sich die Untersuchung mit der
Diagnose.
Wenn man die oben erwähnten Rubriken in der
genannten Reihenfolge durchgeht, dann wird der Umriß des Krankheitsbildes
ziemlich klar skizziert und weist einigermaßen deutlich auf das Simillimum hin,
und der Verordner braucht nur die Tatsache im Gedächtnis zu halten, daß der
wirklich unterscheidende Faktor zu jeder dieser Rubriken gehören kann und daß
ebenso der Bereich dieser Rubriken weit über den angefügten synoptischen Text
hinausreicht.
Damit man sich schnell orientieren kann, folgt hier
ein Diagramm:
Verursachung, Zeit, Temperatur, Wetter,
frische Luft, Körperhaltung, Bewegung, Essen und Trinken, Schlaf, wenn allein,
Druck, Berührung, Absonderungen
Brennen, Krampfen, Schneiden, Bersten, schmerzhafte Empfindlichkeit wie
wund, Klopfen, Durst
Verhalten, Ruhelosigkeit, nervöse Reizbarkeit, Gesichtsausdruck,
Betäubung, Absonderungen, Farbe, Geruch
Die SYNOPSIS hat den Zweck, den allgemeinen Ausdruck
oder den Geist eines jeden Mittels klar zu machen, und dadurch dem Verordner zu
helfen, seine Denkrichtungen zu korrigieren. Ihr Inhalt wurde dadurch stark
erweitert, daß hinter einige, wichtige Symptome die ähnlichsten Mittel in Klammer
gesetzt wurden. Dies ist auch eine Hilfe beim Differenzieren.
Eine
Heilung wird oft dadurch erschwert, daß zuviel Nachdruck auf einige einzelne
Faktoren im Gesamtbild der Krankheit gelegt wird, so daß dadurch ihre Symmetrie
zerstört wird und eine verzerrte Vorstellung vom natürlichen Bild der Krankheit
entsteht. Das soll jedoch nicht bedeuten, daß alle Symptome den gleichen Wert
haben, denn bestimmte Eindrücke müssen hervorragender sein als andere, jedoch
dabei Teil und Stück von ihnen bleiben. In diesem Sinne müssen wir unsere
Mittel kennenlernen- durch ihr Aussehen und ihre Persönlichkeit, ein dauernd
wechselnder, zusammengesetzter Eindruck, aber immer dasselbe Motiv überdenkend.
Wenn das gewählte Mittel wenig oder keine Reaktion
bringt, dann war die Auswahl entweder falsch oder- was geradeso wahrscheinlich
ist- es handelt sich um eines der grundlegenden Miasmen, das nach Psorinum,
Sulfur, Medorrhinum, Syphilinum ruft.
Wenn eine allgemeine Besserung als Folge einer
Einzeldosis ausbleibt, dann sollte das Mittel in der nächst höheren Potenz
wiederholt werden, statt auf die neuen Symptome als Anzeige für irgendein neues
Mittel zu sehen, denn nur die hartnäckigst eingewurzelte Dyskrasie vermag der
ganzen Skala eines angezeigten Mittels zu widerstehen, indem sie ihren Ausdruck
verändert. Manchmal können wir mit Vorteil auf eine andere Potenzhöhe desselben
Mittels überwechseln, bevor wir versuchen, das restliche Symptomenbild nach
jenen Entwicklungen abzuklopfen, die für unsere nächste Mittelwahl hinweisend sein
müssen, und dieses Nachfolgemittel sollte keinesfalls ausgesucht werden, ehe
das neue Symptomenbild – die neue Krankheitsphase- eine genaue und gefestigte
Form angenommen hat.
Diese
neue, fünfte Auflage des „Synoptic Key“ wird hiermit allen Kollegen unterbreitet.
Es wurden nur Veränderungen vorgenommen, die ihren Wert beim Koordinieren und
Zusammenstellen von bedeutsamen Charakterzügen scheinbar getrennter
Symptomengruppen erwiesen haben. Von diesen hängt fast allein die letztliche
Wahl des Simillimum ab. Sie sollten sozusagen ein entsprechendes Bild des
korrekt angezeigten Mittels widerspiegeln. Zu diesem Zweck wurden Rubriken aus
meinen persönlichen Aufzeichnungen herangezogen. Die Symptomenbilder vieler
Mittel wurden abgeklärt, um ihre Brauchbarkeit zu vergrößern, besonders wenn es
um die Präzision beim Differenzieren geht.
Was sich alles beim Zusammentreffen des Simillimum
mit der gestörten Lebenskraft entwickeln kann, ist nicht vorauszusehen. Daher
ist es Pflicht eines jeden Verordners, äußerste Sorgfalt bei der Auswahl des
heilenden Mittels walten zu lassen. Es bleibt immer wahr, was Paracelsus im
„Erste Buch von Blatern“ (Kap. 8, 1528) sagt: „ Es ist so, daß Mercur nur
mercurische Dinge heilt“.
Der Charakterzug, der durch jeden krankhaften Symptomenkomplex
läuft, wurde der „Genius“ de Mittels genannt. Ihm seinen gebührenden Platz bei
der Verordnung zu geben, sollte das Ideal eines jeden Verordners sein. Zu
diesem Zweck wurde dieses Buch geschrieben.
Parkersburg, W .Va. C.M. Boger